Interview mit Birgit Nickel (BAG UB) zum Projekt Karriereplanung Inklusive

Weiterbildung ist eine Selbstverständlichkeit im Arbeitsleben. Und doch nicht für jeden: Menschen mit Behinderungen finden auch hier Barrieren vor – besonders Arbeitskräfte mit Lernschwierigkeiten haben spezielle Bedürfnisse. Beim Zugang zu Weiterbildung oder dem Verständnis von Lerninhalten zum Beispiel. Aber auch Arbeitgeber brauchen Aufklärung und Informationen. Lösung kann der „Bildungscoach“ bringen, der unterstützt und begleitet, wo die Praxis es erfordert. Worum es sich genau handelt, erfahren Sie hier.

Interview mit Birgit Nickel, BAG UB, Projektmitarbeiterin im Modellprojekt Karriereplanung inklusive. Einen wichtigen Bestandteil des Projektes stellt die Entwicklung eines Kompetenzprofils für den Bildungscoach und die Durchführung einer entsprechenden Qualifizierung dar.

Frau Nickel auf welche Schwierigkeiten stoßen Menschen mit Behinderung und besonderem Unterstützungsbedarf, wenn sie sich beruflich weiterbilden wollen?
Schwierigkeiten für die Arbeitnehmer_innen mit Behinderung liegen zum Beispiel in fehlender Information über Weiterbildungsmöglichkeiten und den Rahmenbedingungen, wie Informationen zu Finanzierungsmöglichkeiten, fehlende Sensibilisierung bei den Betrieben und fehlende passgenaue Angebote bei den Weiterbildungsanbietern. Eine Befragung im Rahmen des Projektes hat zum Beispiel ergeben, dass die unterstützten Arbeitnehmer_innen den Weiterbildungen inhaltlich häufig nicht folgen können, da der Stoff zu schnell, in zu schwerer Sprache und nicht praxisnah genug vermittelt wird. Weiterhin hat sich gezeigt, dass an vielen Stellen (häufig auch bei den begleitenden Fachdiensten) das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Weiterbildungen für unterstützte Arbeitnehmer_innen nicht ausreichend vorliegt. Gleichwohl melden viele Arbeitnehmer_innen mit Behinderung Interesse an Weiterbildungen zurück, wenn die Rahmenbedingungen für sie passend sind. Das wären unter anderem die Gruppengröße, die Unterstützung bei der Wissensvermittlung beziehungsweise -sicherung, das Finden von passenden Angeboten, die Klärung von Finanzierungsfragen.
Das Projekt setzt mit seinen verschiedenen Bausteinen an drei Stellen an:


1.    die unterstützten Arbeitnehmer_innen sind über Weiterbildungen, deren Stellenwert, die Zugangswege, die denkbare Unterstützung etc. zu informieren.
2.    Die Betriebe sind ebenfalls zu informieren und auch zu sensibilisieren, dass und wie die Arbeitnehmer_innen mit Behinderung an Weiterbildungen teilnehmen können/möchten.
3.    Die Weiterbildungsanbieter sind zu beraten bzw. zu informieren wie Weiterbildungen gestaltet sein sollten, damit insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten teilnehmen können und in welcher Form ein Bildungscoach unterstützend/begleitend tätig ist.

Welche Schwierigkeiten hilft der Bildungscoach dabei zu überwinden?

Der Bildungscoach unterstützt die genannten drei Akteure bei der Umsetzung der Weiterbildung. Dafür wurde im Rahmen des Projektes ein Aufgaben- und Kompetenzprofil für den Bildungscoach erstellt. Dabei geht es um folgende Schwerpunkte, die der Bildungscoach übernimmt:

•    den Bedarf an beruflicher Weiterbildung bei unterstützten Arbeitnehmer_innen und Betrieben zu ermitteln. Dafür werden bei dem/der unterstützten Arbeitnehmer_in die Kompetenzen (formell und informell erworbenes Wissen) erhoben, im Betrieb die Anforderung für die Weiterbildung bzw. die gewünschte Qualifizierung erhoben und gemeinsam eine passende Weiterbildung und deren Finanzierungsmöglichkeiten gefunden.

•    In der Zusammenarbeit mit den Weiterbildungsanbietern werden ggf. vorhandene Barrieren ermittelt und Lösungen für deren Beseitigung gefunden. Dabei kann es denkbar sein, dass der Bildungscoach den/die unterstützte Arbeitnehmer_in in die Weiterbildung begleitet und dort notwendige Unterstützung leistet, zum Beispiel beim Lesen und Schreiben, um Ängste abzumildern, um bestimmte Inhalte in einfache Sprache zu übersetzen etc.

•    Eine weitere Aufgabe des Bildungscoaches kann auch in der Vor- bzw. Nachbereitung des Stoffes mit dem/der unterstützten Arbeitnehmer_in und beim Transfer in den Betrieb bestehen.

Dabei ist die Selbstbestimmung bzw. Selbstwirksamkeit des/der unterstützten Arbeitnehmer_in leitendes Prinzip im Bildungscoaching. Der Bildungscoach wird nur dort tätig, wo es notwendig ist und von der/dem unterstützten Arbeitnehmer_in gewünscht ist. Im Rahmen des Projektes sind unterstützte Arbeitnehmer_innen zu Experten_innen in eigener Sache ausgebildet worden, die dem Peer-Ansatz folgend über ihre Erfahrungen als Arbeitnehmer_innen und als Teilnehmer_innen in Weiterbildungen aus ihrer persönlichen Perspektive berichten. Von ihren Erfahrungen berichten sie zum Beispiel interessierten Arbeitnehmer_innen mit Behinderung, in Workshops für Fachkräfte der beruflichen Begleitung/Unterstützung für Menschen mit Behinderung oder auch auf Informationsveranstaltungen in Schulen.

Das 2. Modul der Qualifizierung zum Bildungscoach ist abgeschlossen, welche Inhalte und Kompetenzen werden vermittelt.
Die Weiterbildung besteht aus fünf Modulen. Wir vermitteln das Aufgaben- und Kompetenzprofil des Bildungscoaches und sein komplexes Handeln mit den Betrieben, den unterstützten Arbeitnehmer_innen und den Weiterbildungsanbietern, d.h. auch Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenbild und -verständnis. Einen Schwerpunkt stellt die Ermittlung von bewussten und unbewussten Kompetenzen bei unterstützten Arbeitnehmer_innen dar. Da geht es zum einen um die Vermittlung/Anwendung von methodischen Instrumenten und zum anderen um Coachingelemente. Das große Thema Kommunikation wird angesprochen, natürlich jeweils im Kontext des Bildungscoachingprozesses. Es wird sich des Weiteren mit den gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt. Diese Inhalte bieten wir als sogenannte E-Learning an, die Teilnehmer_innen können am eigenen Computer die Inhalte nachlesen und Aufgaben beantworten, die sie mit den Referent_innen auf dem elektronischen Wege austauschen.
Ein Modul widmet sich dem Begleiten von Bildungsprozessen, also der Frage wie können Bildungsinhalte so angeboten werden, dass sie von möglichst vielen Menschen aufgenommen werden können und wie kann das Wissen gut gesichert bzw. in die Praxis transferiert werden.
In dem letzten Modul geht es um den Umgang mit konflikthaften Situationen, wie sie zum Beispiel bei unterschiedlichen Vorstellungen an die Weiterbildung bei Arbeitnehmer_in und Betrieb entstehen könnten, und um das Thema Qualitätssicherung im Bildungscoachingprozesses.

Wer kann Bildungscoach werden bzw. sein?

In dem von uns erstellten Aufgaben- und Kompetenzprofil gehen wir davon aus, dass das Fachpersonal, welches bereits in der Begleitung/Unterstützung von Arbeitnehmer_innen mit Behinderung tätig ist, diese Aufgaben übernimmt. Viele Tätigkeiten des Bildungscoaches sind eng verbunden mit der Tätigkeit des Jobcoaches in der Qualifizierung bzw. Begleitung von Arbeitnehmer_innen mit Behinderung und es erfolgt ein Zusammenwirken von beiden, z.B. beim Transfer der Weiterbildungsinhalte in den beruflichen Kontext.
Der Jobcoach ist Fachperson für die Begleitung/Unterstützung im betrieblichen Kontext und der Bildungscoach Fachmensch für den Weiterbildungsbereich. Dafür sind spezifische Kenntnisse nötig, zum Beispiel regionale Kenntnisse der Weiterbildungsbranche und Zusammenarbeit mit den Referent_innen, Kenntnisse in der Begleitung von Bildungsprozessen, Erheben von (informell) erworbenen Wissen, Finanzierungsmöglichkeiten.

Sind weitere Qualifizierungen geplant?
Momentan ist ein Weiterbildungsdurchgang geplant. Ob in der Projektphase noch ein weiterer Durchgang erfolgen kann, ist noch nicht ganz geklärt. Auf jeden Fall möchten wir diese Qualifizierung über das Projektende hinaus etablieren, da wir von der Bedeutsamkeit des Bildungscoaches mit seinen spezifischen Kompetenzen schon zum jetzigen Zeitpunkt des Projektes überzeugt sind und die dafür notwendige Qualifizierung durch die Weiterbildung gegeben sehen. Wir haben sehr kompetente und interessante Referent_innen für die Durchführung der Module gewinnen können, die durch ihre Vorerfahrungen dieses eher neue Feld sehr gut inhaltlich und methodisch füllen.